“Vučić, Dieb!” – das war gerade zu hören. Aleksandar Vučić ist der ehemalige Premier und jetzige Präsident Serbiens. Das haben Demonstranten in Belgrad am vergangenen Wochenende gerufen. Ich habe das dort am 5. Januar aufgenommen, also am Samstagabend. Das war auch der Abend vor dem serbisch-orthodoxen Weihnachtsfest. Es war sehr kalt, es hat auch ordentlich geschneit, es war eigentlich kein Tag, an dem man tausende Menschen auf der Straße erwartet hätte, aber das hat keinen gestört. Sie kamen auch diesmal in großer Zahl wieder zum Protest.
Wie lange geht das schon und wie ist die aktuelle politische Situation in Serbien?
Die Demonstrationen erinnern zum einen an die letzten Proteste von vor ca. 2 1/2 Jahren. Da war Vucic noch Premier. Seit 2017 ist er jetzt Präsident. Und dann gibt es natürlich auch Bezüge zum Jahr 2000. Das ist das Jahr nach dem Ende des Kosovo-Kriegs. Das Kosovo war ja mal Teil Serbiens. 1999 wurde Serbien von der NATO und damit von den westlichen Staaten Europas und den USA bombardiert. Das ist bis heute ein Trauma für viele. Im Jahr 2000 gab es dann Präsidentenwahlen. Und Slobodan Milošević wurde damals gestürzt. Und zwar auch durch große Massendemonstrationen. Das ist immer noch nicht vergessen. Das war für viele auch eine Befreiung und ein Akt der Selbstermächtigung in einer ohnmächtigen Situation. Das was jetzt passiert auch noch lange nicht vergleichbar mit damals. Aber das schwingt immer mit, wenn es um große Demonstrationen in Serbien geht. Seit 5 Wochen gibt es wieder größere Proteste mit mehreren zehntausend Menschen. Das geht vom Alter und der Beteiligung wirklich quer durch die Gesellschaft. Und die Leute nutzen auch wieder Trillerpfeifen, wie schon im Jahr 2000. Sie pfeifen Vučić aus.
Vučić regiert autoritär. Und ist noch nicht einmal 1 ½ Jahre im Amt. Um was geht es bei den Protesten konkret?
Aleksandar Vučić ist zwar erst seit 2017 Präsident, er war aber bereits seit 2014 Ministerpräsident. Zuvor war er Verteidigungsminister. Und davor in den 1990er Jahren war er bereits in den 1990er Jahren Informationsminister unter Milošević. Dazu kann ich gleich nochmal etwas sagen, wenn es um die Situation der Medien geht. Serbien ist jedenfalls ganz klar politisch von ihm und seiner Partei, der SNS dominiert.
Die existiert auch noch gar nicht so lange. Die ist nach einer Spaltung aus der Serbischen Radikalen Partei hervorgegangen. Das war die einflussreichste Rechtsaußen-Partei in Serbien, stramm nationalistisch. Heute gibt sich Vučić pro-europäisch und konservativ. Und er hat eine große Machtfülle. Als Premier hat er die Parlamentswahlen zwei Jahre vorgezogen. Eigentlich sollte 2018 gewählt werden. Seine Partei ist schon seit 2012 stärkste Kraft im Parlament und hat seit 2014 die absolute Mehrheit im serbischen Parlament.
Dementsprechend wurde zum Machterhalt in den letzten Jahren in Serbien alles auf ihn und seine Partei ausgerichtet. Das findet auf allen Ebenen statt. Vorbilder sind da sicher Autokratien wie Russland, die Türkei oder Ungarn. Mit einem Parteibuch kommt man im heutigen Serbien jedenfalls weiter oder überhaupt auf Posten.
Warum jetzt der Protest?
Ich habe eine ziemliche Resignation bemerkt. Zum einem gibt es diese autoritäre System, dem sich immer mehr unterordnen müssen. Einen politischen Ausweg sehen viele Wähler auch derzeit nicht. Die Opposition war bereits an der Macht und hat viel Vertrauen verspielt. Anlass für die Proteste war zwar ein brutaler Angriff auf einen linksgerichteten Oppositionspolitiker. Es herrscht ein verrohter, autoritärer Umgang in der Politik. Die Opposition war aber auch lange zerstritten mit viel zu unterschiedlichen Interessen. Die Opposition hält sich aktuell bei den Protesten sichtlich zurück. Von den Wählern sehen nur wenige, dass es mit anderen Politikern besser wird. Serbien ist auch ein armes Land. Es gab viele Privatisierungen in den letzten Jahren. Es gibt Korruption und damit eine Gerangel und Macht und Geld. Da profitieren nur wenige. Viele Menschen haben zwei oder drei Jobs oder eine lächerlich geringen Rente. Viele junge Menschen verlassen schon seit Jahrzehnten das Land. Das ist so die Gemengelage.
Wie sieht es mit den Medien aus?
Die Medien stehen politisch seit vielen Jahren unter Druck. Es gibt kaum noch kritische Stimmen. Und es gab eine große Umwälzung bei den elektronischen Medien. Die kommunalen Radios und Fernsehsender wurden privatisiert. Das ehemals bekannte kritische Radio und Fernsehen B92 wurde aufgekauft und kommerzialisiert, Radio und Fernsehen wurden inzwischen umbenannt.
Die wichtigsten Stimmen gegen Vučić waren vor allem einige Talkshow-Formate im Fernsehen. Die wurden jetzt in den letzten Jahren Stück für Stück abgesägt. Bis 2014 gab es zum Beispiel “Utisak Nedelje” auf B92. Da ist inzwischen bekannt, das Vučić direkt mit dem Aus der Sendung in Verbindung steht. Vučić kontrolliert derzeit das staatliche Fernsehen RTS und auch die reichweitenstärksten privaten Sender Pink und Happy TV. Und vor kurzem gab es eine weitere Übernahme. Ein serbischer Geschäftsmann, der der Regierung nahe steht, hat jetzt auch noch Prva TV und auch die B92 Sender aufgekauft. Dafür sind 180 Millionen € geflossen.
Dass der staatliche Sender RTS kaum über die Massendemonstrationen berichtet, wurde auch auf der Demo kritisiert.
Als Konseqenz hat jetzt der Late-Night Talker vom dortigen Sender, Ivan Ivanović, in der letzten Sendung im Dezember überraschend das Ende seiner Show angekündigt. Und das nach 8 Jahren. Wir hören da nochmal rein. Die Sendung wurde inzwischen von Youtube gelöscht, es gibt aber noch diese Aufnahme aus dem Ende der Sendung.
Jetzt bleibt quasi im Fernsehen nur noch eine letzte Sendung übrig. Das ist die von Zoran Kesić von 02.tv. Der ist auch Ende Dezember regulär in eine Pause gegangen. Ob er je wieder seine satirische Sendung “24 minuten” ausstrahlen kann, ist derzeit noch offen. Denn der Sender ist ja Teil des Verkaufs.
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Und noch ein Nachtrag. Auch im Nachbarland Bosnien gibt es ebenfalls große Proteste. Und das schon seit vielen Monaten fordern in der Republika Srpska, in Banja Luka, der Hauptstadt des serbischen Teils der Republik, viele Menschen Aufklärung. Am 18. März letzten Jahres starb dort der 21-jährige David Dragičević unter bisher ungeklärten Umständen. Ein junger Mann mit Rastalocken. Seitdem gab es vor allem von den Angehörigen kritische Fragen, danach Mahnwachen, bis zu wochenlangen Protesten.
Das Ganze hatte sich dort zum Jahresende zugespitzt. Denn Davids Eltern verlangten den Rücktritt von Politikern. Zuerst wurde die Mutter verhaftet, später der Vater. Zu Neujahr wurden im Stadtgebiet jegliche Veranstaltungen verboten. Auch private Feierlichkeiten. Stattdessen gab es Festnahmen und ein großes Polizeiaufgebot.
Dann verschwand plätzlich der Vater Davor Dragičević. Erst vor drei Tagen gab es ein Lebenszeichen.