Die NS-Dichterin Agnes Miegel ist weiterhin in aller Munde. Bekanntlich bereits im Februar letzten Jahres beantragte der Ratsherr Jonny Griese von der Partei DIE LINKE die Umbenennung der Agnes-Miegel-Straße in Neumünster-Brachenfeld. Jonny Griese meinte, die Straße solle künftig lieber „Anni-Wadle-Weg“ heißen, denn Agnes Miegel sympathisierte mit den Nazis und eine Umbenennung der Straße wäre „ein Zeichen dafür, dass sich Neumünster von der Nazizeit und ihren Anhängern distanziert“. Sein Antrag wurde mit einer Änderung durch die SPD-Fraktion beschlossen. Was genau die SPD forderte, ist nicht genau bekannt, da im Ratsinformationssystem keine Anlage zu TOP 11.2 vorhanden ist. Aber so viel ist klar, die SPD möchte, dass eine Kommission oder eine Hochschule an der Prüfung des Straßennamens und vieler anderer mitwirkt. Ein Ratsherr der GRÜNEN regt noch an, dass auch der Frage nach der damaligen Motivation der Stadt nachgegangen werden soll, die Straße nach Agnes Miegel zu benennen. Im Beschluss wird diese Anregung dann auch aufgenommen. Jonny Grieses Antrag wird mit überwältigender Mehrheit angenommen, nur die CDU-Fraktion und der Ratsherr der NPD sind dagegen.
Im September letzten Jahres, also 7 Monate später, veröffentlicht die Neonazi-Splitterpartei „Der III. Weg“ das volkstümelnde Agnes Miegel-Gedicht „Abschied von Königsberg“ zu ihrem Aktionstag „Vertriebengedenken“. Laut Partei-Website trafen sich am 10.09. in Neumünster „Patrioten und Nationalisten, um an das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen zu erinnern“. Hochgeladen wurden Fotos, die aus dem Friedenshain stammen.
Wahrscheinlich war das ein Aufhänger für den Ratsherren Griese mal wieder bei der Stadtverwaltung anzufragen, ob bereits Untersuchungen vorgenommen wurden. So schickt er am 25.9. eine Kleine Anfrage und erhielt von der Stadtpräsidentin die Antwort, dass bereits verwaltungsinterne Recherchen erfolgten und die Ratsversammlung eine Ratsvorlage am 21.11.2017 erhalten solle. Anfang November erhielt der Ratsherr dann die Mitteilung vom Ersten Stadtrat, dass der Verwaltung die Erarbeitung einer Drucksache erst für die Ratsversammlung am 12. Dezember (einschl. der Vorberatung in den zuständigen Ausschüssen) möglich ist.
Im Dezember dann die ersehnte Ratsvorlage: Sie lautet: Die Verwaltung legt eine Liste der Straßen im Stadtgebiet von Neumünster vor, die nach Persönlichkeiten benannt sind, die aufgrund ihres Verhaltens oder ihrer öffentlichen Wirkung hinsichtlich einer möglichen negativen Vorbildwirkung kritisch zu hinterfragen sind. Die jeweiligen Straßen werden einer Überprüfung unterzogen, ob eine Umbenennung erforderlich ist. Die Ratsversammlung beschließt für die Durchführung des Überprüfungsverfahrens die Einrichtung einer Kommission.
Im Holsteinischen Courier wurden in jüngster Zeit Leserbriefe abgedruckt, die sich gegen die Einrichtung dieser Kommission wenden bzw. für Agnes Miegel stark machen. So ist einer der Leserbriefschreiber der Auffassung, es sei sehr weit hergeholt, Defizite in der NS-Aufarbeitung in Neumünster zu beseitigen. Der Herr ist Redakteur in der Seniorenredaktion des Holsteinischen Couriers.
Ein anderer Autor bescheinigt der Dichterin, dass sie „zwei Seiten in ihrem Leben nebst Lernfähigkeit“ gezeigt hätte.
Auch in anderen Medien und im Rundfunk kommt Agnes Miegel teilweise gut weg. Wie kommt es dazu?
Wir hören einen Ausschnitt einer WDR-Dokumentation der Autorin Jutta Duhm-Heitzmann aus dem Jahr 2014, die zum 50. Todestag Agnes Miegels produziert wurde. Die Sendung heißt „Zeitzeichen“ und beginnt mit seichter Klaviermusik und Gedichtzitaten von Agnes Miegel.
Später wird eine Historikerin von der Sprecherin bemüht. Dr. Eva Wodarz-Eichner ist freie Journalistin, Dozentin und Buchautorin. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin publiziert im EMONS-Verlag, der die Publikation des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln übernahm.
Schauen wir uns ihre Werke noch einmal näher an: Die Erzählung „Besuch bei Margret“ aus dem Jahr 1943 ordnet die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes der Kategorie „Rassezüchtung, Vererbungslehre und Rassismus“ zu. Alle Elemente der NS-Dichtung finden sich in Miegels Werken wieder: Rassismus, Erblehre, Schicksalsgläubigkeit, Autoritätsgläubigkeit, Mystizismus, Blut- und Boden, Verklärung der Verbundenheit mit der “Heimat” und Deutschland und schließlich Befürwortung von Gewalt und Krieg. Völkische, nationalistische und antisemitische Tendenzen kommen in ihrem Werk ebenfalls mehrfach zum Ausdruck. Aber Miegel ist vorsichtig, Rassismus und Antisemitismus treten bei ihr nicht so unverhohlen auf wie bei den Nazis.
In der Wissenschaft ist man sich weitgehend einig: Miegel lebte eine große Nähe zu den Motiven des NS-Regimes. Eva-Maria Gehler, die Germanistik und Anglistik an der Universität Heidelberg studierte und am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturgeschichte arbeitete, bildet in Ihrem Buch „Weibliche NS-Affinitäten: Grade der Systemaffinität von Schriftstellerinnen im Dritten Reich“ folgendes Urteil:
„Die Miegelsche Dichtung, die anfangs nur in den einzelnen Motiven Überdeckungen mit der NS-Ideologie aufwies, entwickelte sich in der Zeit des „Dritten Reiches“ vor dem Hintergrund der Auftragsarbeiten zu einer wahren NS-Poesie“.
Eva Gehler klassifiziert Miegel in dem Buch als „Nazi-Dichterin“. Professor Dr. Horst Matzerath, ein deutscher Historiker, der am Aufbau der NS-Dokumentation in Köln arbeitet, ist weniger unkritisch als seine Kollegin Wodarz-Eichner. So heißt es in seiner Stellungnahme: Agnes Miegel muss als Person des öffentlichen Lebens angesehen werden, die nach außen hin den Nationalsozialismus aktiv vertreten hat…als Leitbild für eine demokratische Gesellschaft und als Vorbild für die Rolle einer verantwortungsvollen Literatin kann sie in unserer Gesellschaft nicht gelten.“
Wie steht jetzt die Ratsversammlung in Neumünster zur NS-Dichterin Agnes Miegel? Wir hören in die Sitzung vom 12. Dezember hinein und hören zunächst Jonny Griese, den Ratsherrn der LINKEN und Urheber des Antrags:
Die folgenden beiden Beiträge spielen wir hintereinander, obwohl sie zeitversetzt lagen, weil sie thematisch zueinander gehören. Es spricht zunächst Reinhard Ruge, Fraktionsvorsitzender der FDP. Anschließend spricht der stellvertretende Stadtpräsident und Ratsherr, Bernd Delfs, von der SPD.
Später in der Ratsversammlung hat noch die BfB-Ratsfrau Esther Hartmann einen Redebeitrag. Sie berichtet, dass sie sich informiert hat – ausgerechnet bei der Agnes-Miegel-Stiftung aus Bad Nenndorf. Diese Stiftung widmet ihre Arbeit u.a. der Verteidigung der Hitler-Verehrerin und ostpreußischen Dichterin. Pressesprecher der Agnes-Miegel-Gesellschaft ist Detlef Suhr, der neben seiner Tätigkeit in der Stiftung auch einmal im Vorstand des Kreisverbands der AfD Stadt Oldenburg-Ammerland saß und Mitglied der Partei ist, wie er auf seiner eigenen Internetseite bekanntgab. Wie die Schaumburger Nachrichten im Oktober 2016 berichteten, hatte Suhr im Umfeld eines Bürgerentscheids zum Verbleib des Miegel-Denkmals in Bad Nenndorf Mitglieder des Stadtrates und des Bündnisses „Bad Nenndorf ist bunt“ verbal angegriffen. In einem Artikel für die AfD forderte Suhr 2015 „eine neue Erinnerungskultur in Deutschland“ und weist darauf hin, dass „Deutsche Geschichte nicht nur aus den 12 Jahren des Nationalsozialismus besteht“.
Irgendwie hat man das vor kurzem schon einmal ähnlich von einem AfD-Politiker gehört …
Den demokratischen Ratsfrauen und Ratsherren der Ratsversammlung Neumünster wünschen wir ein glückliches Händchen bei der Informationsgewinnung zu Agnes Miegel und der Stadtverwaltung, dass sie ihrer Aufgabe gerecht wird, eine kompetente und neutrale Kommission zu diesem Thema zusammenzustellen. Wir bleiben dran …
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Guter Beitrag. Ihm ist weite Verbreitung zu wünschen. Aus den im Bericht genannten Argumenten und Abläufen können andere Verantwortliche sicher etwas lernen. Das WDR-Zeitzeichen hatte auch ich als einseitig kritisiert. Der WDR hat dazu leider nicht Stellung genommen.
Eine Anregung: Es sollte die Autorin oder der Autor bei Ihnen namentlich genannt werden.