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Interview mit einer Zeitzeugin, die mit dem “Bürokrat des Tötens” Herbert Hagen zwei Jahre zusammengearbeitet hat

Herbert Hagen (Mitte) bei einer Razzia in der jüdischen Gemeinde Wien, rechts Adolf Eichmann, links Josef Löwenherz, März 1938 (Bundesarchiv, Bild 152-65-15A / CC-BY-SA 3.0)

Der gebürtige Neumünsteraner Herbert Hagen war einer der Hauptverantwortlichen der Deportation von Juden aus Frankreich. Der Bürokrat des Tötens, dessen Geburtshaus sich in der Klosterstraße befand, wurde 1980 wegen Beihilfe zum Mord in 70.790 Fällen verurteilt.

Franziska*, mit der ich heute spreche, ist im Mai 99 Jahre alt geworden. Sie ist in Duisburg-Hamborn geboren und auch dort aufgewachsen. Sie​​ lebt in einem Seniorenheim nicht weit von Duisburg-Hamborn. Ihr Gedächtnis ist erstaunlich klar. Nach den Angaben einer Kontaktperson zu Franziska stammten sie und ihr verstorbener Mann aus traditionell katholischen Familien und hatten mit den Nazis nichts am Hut.

*Name ist der Redaktion bekannt.

Nach dem Krieg hat sie an verschiedenen Orten für die britische RDR Division (Reparations, Deliveries and Restitution Division) gearbeitet. Ihr damaliger Chef bei RDR Division war Herbert Hagen, zuvor SS-Obersturmbannführer und Chef von Adolf Eichmann. Hagen war sehr gebildet, sprach ausgezeichnet Englisch und Französisch, und war äußert charmant. Er hat sich mit Franziska und ihrem Ehemann angefreundet und war häufig privat bei ihnen zu Gast. Erst in den letzten Jahren hat Franziska Näheres über die Hintergründe dieses Mannes erfahren und selbst im Internet recherchiert.
Die RDR Division war nach ihren Angaben für die Organisation der De-Industrialisierung des Ruhrgebietes zu Reparationszwecken zuständig.
Die RDR Division der britischen Militärregierung hat aber auch die Verfahren für Ansprüche und Ablieferungen von Restitutionsgut festgelegt. So existiert im Bundesarchiv eine Archivalie von 1947:  “Verzeichnis des im Krieg 1939 – 1945 aus Frankreich verschleppten Eigentums”, hrsg. vom Bureau Central des Restitutions, Berlin. In einer weiteren Korrespondenz wird angeraten, da “das britische Restitutionspersonal nicht ausreiche, um mit der gegenwärtigen Anzahl von Ansprüchen fertig zu werden, die sich auf 1.300 belaufen und mit einer Rate von 250 pro Monat ansteigen, […] anstatt das britische Personal zu erweitern, wird erwogen, dass Deutsche sowohl in den Regionen als auch im Haupt-Hauptquartier angestellt werden sollten, um den bürokratischen Teil der Restitutionsarbeit zu erledigen, nämlich Suche, Untersuchung, Verpackung und Auslieferung”.
Wer sonst wusste besser als der Massenmörder Hagen, wie viel Kulturgut aus Frankreich weggeschleppt wurde, welches man zuvor den Juden genommen hatte. Aber musste man den Naziverbrecher deswegen zum Chef dieser Einheit machen? Wer weiß, wie viel Kulturgut in diesen dunklen Jahren in Nazikanäle versickert ist, wo es hin und wieder auch heute noch aus der braunen Gülle auftaucht, wie neulich in Heikendorf geschehen.
Uns liegt Korrespondenz zwischen den RDR-Abteilungen in Minden und Berlin zur Frage des Einsatzes von Deutschen im Restitutionsverfahren vor, die besagt, dass “die Verkündung des Generalbefehls Nr. 6, der den Deutschen befiehlt, das in ihrem Besitz befindliche Eigentum der Alliierten Nationen zu deklarieren, voraussichtlich 250.000 bis 1.000.000 Deklarationen hervorbringen wird und es völlig unmöglich ist, die Anzahl der Ansprüche zu schätzen, die sich aus diesen Deklarationen ergeben werden”, datiert vom Mai 1946.
Ergänzungen zu den genannten Personen im Interview:
-Die Ehefrau von Herbert Hagen hieß Marianne, geborene Birresborn.
-Der Sohn Herbert Hagens hieß Jens. Den gemeinsamen Sohn brachte Marianne 1944 in einem Lebensbornheim im Ort Steinhöring bei Ebersberg in Oberbayern zur Welt.
Quellen:
-https://www.akens.org/akens/texte/info/33/333407.html
-Website von Katrin Himmler: https://www.katrinhimmler.de


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Ein Gedanke zu „Interview mit einer Zeitzeugin, die mit dem “Bürokrat des Tötens” Herbert Hagen zwei Jahre zusammengearbeitet hat“

  1. Hallo Herr Schumann,

    ich freue mich, dass das Interview mit Franziska hier noch verfügbar ist und habe es mir soeben noch einmal angehört. Franziska hat einen kleinen Beitrag zur Aufarbeitung des nationsozialistischen Unrechts leisten können. Ich bin stolz auf sie!

    In München bin ich in Kontakt mit einer Gruppe namens Erinnerungswerkstatt e.V., deren Mitglieder die Biografien von Münchner Verfolgten des NS-Regimes erarbeiten und veröffentlichen. Eine sehr wichtige Erinnerungsarbeit!

    Mit freundlichen Grüßen

    J. Clayton-Chen

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