Zum Inhalt springen

Erinnerungskultur am 8. Mai zum Nachhören: Fiete Rowedder im Gespräch mit OB Tobias Bergmann

Der 8. Mai 2025 markiert den 80. Jahrestag der Befreiung Deutschlands und das Ende des Zweiten Weltkrieges.

Wir waren dabei, als Oberbürgermeister Tobias Bergmann den 89-jährigen Zeitzeugen Fiete Rowedder zum Gespräch empfing. Er berichtete eindrucksvoll von seinen Erinnerungen an die letzten Kriegstage in Neumünster. Mit viel Glück und einem Schutzengel überlebte er die Bombardierung des Vicelinviertels. Seine Mutter half einer jüdischen Mitbürgerin zur Flucht nach Argentinien und bewies große Menschlichkeit im Umgang mit Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine.

Diese prägenden Erfahrungen haben Fiete Rowedder zu einem leidenschaftlichen Verteidiger von Demokratie, Menschenwürde und Mitmenschlichkeit werden lassen.

Bei der Tuchfabrik H.F. Rowedder an der Christianstraße 8-16 wurden Tarnnetze für die Wehrmacht gefertigt, unter Einsatz von Zwangsarbeiterinnen aus Polen und Russland. Neben C.F. Köster, Julius Bartram, C. Sager, Ludwig Simons und Wehrenpfennig gehörte der Betrieb von H.F. Rowedder von 1889 zu den wichtigsten Arbeitgebern der Textil verarbeitenden Industrie in Neumünster. 1939 waren bei der Tuchfabrik insgesamt 100 Beschäftigte angestellt. Nach Kriegsbeginn musste Rowedder auf Rüstungsproduktion umstellen. So wurden in dem vierstöckigen Fabrikgebäude Tarnmatten geflochten und gefärbt. Nach dem Luftangriff am 25. Oktober 1944 wurde der Betrieb eingestellt. Nach dem Krieg baute Heinrich Rowedder den Betrieb 1946 wieder auf, indem er Topfschrubber herstellte. 1953 hatte das Werk dann 289 Beschäftigte. 1973 musste die Produktion endgültig eingestellt werden.

52 ukrainische Zwangsarbeiterinnen (Foto: privat)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch wenn die Atmosphäre auf dem Bild heiter erscheint, mussten diese Menschen unter harten Lebens- und Arbeitsbedingungen Zwangsarbeit leisten. Eine dieser Zwangsarbeiterinnen war Anna Sinifonowna P., Jahrgang 1926, aus Chmelnizk/Ukraine. Sie wurde im Alter von 16 Jahren deportiert, von den Eltern getrennt, in einen engen Viehwaggon gesperrt und auf eine lange Reise geschickt. In jedem Waggon waren 45 Menschen, die Fenster wurden vernagelt, die Türen verschlossen. Deutsche Soldaten mit MPs bewachten die Waggons. Eine Situation des Grauens und der Panik. Die Zwangsarbeiterinnen waren im betriebseigenen Lager untergebracht (d.h. direkt im Fabrikraum). Die sanitären Zustände waren wohl katastrophal, denn es standen nicht genügend Reinigungskräfte zur Verfügung, weil alle Zwangsarbeiterinnen in der Produktion benötigt wurden. Offensichtlich waren die Zustände im Oktober 1942 so schlimm, dass sich Ungeziefer ausbreitete. „Deutsche Volksgenossen“ bei der Fa. Rowedder befürchteten die Ausbreitung von Kleiderläusen.

Ich erinnere mich, daß wir ständig essen wollten. Die Alarme gaben uns Tag und Nacht keine Ruhe.

Anna Sinifonowna P.

Olga Nadolinskaja, aus Chmelnizk/Ukraine, Dorf Kljutschowka, erinnert sich, dass die „Herrschaften sich uns gegenüber menschlich benahmen“. Das deckt sich insofern mit der Aussage von Fiete Rowedder.

Quellen:

StA NMS, MA 2861

Schwarze, Gisela: Die Sprache der Opfer. Briefzeugnisse aus Rußland und der Ukraine zur Zwangsarbeit als Quelle der Geschichtsschreibung (2005)



--

Support your local community radio! Mitarbeit beim Freien Radio mit Stimmrecht & Basis zum Mitsenden schafft eine Mitgliedschaft im Radioverein. Wer uns vor allem finanziell helfen will, kann einen Dauerauftrag einrichten oder wird Mitglied in unserem Förderverein. Einmalige Spenden gegen eine Spendenquittung gehen auf das Vereinskonto (IBAN: DE19830654080004960963; BIC: GENODEF1SLR; VR-Bank Altenburger Land). Auch per Pay Pal. Danke!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert