Kurz vor Ende des 2. Weltkrieges, im April 1945, wurde von den Nationalsozialisten das Konzentrationslager Fuhlsbüttel geräumt, um die zum Teil schrecklich misshandelten Insassen nicht der Zeugenschaft der alliierten Truppen auszusetzen.
Etwa 800 Menschen mussten an dieser grauenhaften Tortur teilnehmen. In nur drei Tagen vom 12. bis 15. April 1945 erreichte man das sog. „Arbeitserziehungslager Nordmark“ in Kiel-Hassee. Die SS erschoss auf diesem Weg mindestens 8 Marschteilnehmer. Darunter waren auch die beiden in Neumünster Wittorferfeld erschossenen Maurice Sachs geb. Ettinghaus und Richard Hartmann. Der bisher im Polizeigefängnis in Fuhlsbüttel tätige Wachtmeister Hartmann war erschossen worden, weil er unterwegs Gefangene zur Flucht ermuntert haben soll. Überlebende Häftlinge des Polizeigefängnisses berichteten von einem Wachmann namens Hartmann, der sich ihnen gegenüber während des Krieges sehr solidarisch verhalten hatte und offen die brutalen Methoden seiner Kollegen missbilligte. Maurice Sachs war ein französischer Schriftsteller, Abenteurer und Kollaborateur. Sachs stand im Kontakt zur Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Seine vielfältigen Beziehungen nutzte er für die Weitergabe von Informationen an die Gestapo und sorgte so für die Verhaftung von zahlreichen Menschen, die ihm vertraut hatten. Im November 1943 wurde Maurice Sachs als Jude dann selbst verhaftet, besaß aber im Gefängnis Fuhlsbüttel wiederum eine privilegierte Stellung: Die Gestapo setzte ihn bewusst als Spitzel gegenüber seinen Mitgefangenen ein.
Zu diesen Ereignissen ist es gelungen, zur Erinnerung mehrere Gedenktafeln zu installieren. An einigen Orten stieß man dabei jedoch auf Widerstand, zum Beispiel in der Gemeinde Mühbrook. Was für viele ein Weg in die Freiheit und in ein neues Leben führte, endete für andere mit dem Tod. Der Todesmarsch von Hamburg nach Kiel blieb nicht der einzige Todesmarsch Richtung Norden. Es gab noch insgesamt mindestens drei weitere vom KZ Neuengamme nach Flensburg. Die Recherche ergab Folgendes:
- Der erste Todesmarsch. Am 24. April verließen 400 Gefangene Neuengamme und wurden über Bergedorf, Hamburg, Neumünster nach Kiel gebracht. Hier wurden sie eingeschifft auf die „Olga Siemers“ und nach Flensburg gebracht, wo sie am 8. Mai 1945 von britischen Truppen befreit wurden. Laut Todesliste die vom Internationalen Suchdienst*[1] geführt wird, starben auf diesem Marsch 9 Menschen in Neumünster und wurden dort beigesetzt. Einer starb in Einfeld. Von den 400 ursprünglich in Neuengamme gestarteten Gefangenen kamen 300 am 30. April in Flensburg an.
- Der zweite Todesmarsch. Am 29. April wurden 380 Insassen des KZ Neuengamme auf den zweiten Todesmarsch nach Flensburg geschickt, der am 4. Mai dort ankam. Auf diesem Marsch wurden laut Akte 30 Menschen getötet. Die SS-Gruppe Dirlewanger ließ die Gefangenen von Neuengamme über Bergedorf nach Hamburg marschieren. Hier wurden sie eingesammelt und nach Rahlstedt gebracht. Von dort ging es zu Fuß weiter nach Bad Oldesloe und weiter nach Bad Segeberg. Hier erfolgte offensichtlich ein Weitertransport nach Groß Kummerfeld und dann wieder ein Fußmarsch nach Neumünster.
- Der dritte Todesmarsch. Am 30. April startete der dritte Todesmarsch in Hamburg. Die Gefangenen wurden mit dem Zug Richtung Lübeck evakuiert. Unterwegs mussten sie in Bargteheide den Zug verlassen und zu Fuß über Bad Oldesloe, Bad Segeberg und Rickling nach Neumünster. Am 3. Mai abends erfolgte der Weitertransport per Zug nach Flensburg. Hier kamen 150 Häftlinge an, die anderen hatten den Zug unterwegs verlassen. In Flensburg wurden die Häftlinge auf den Dampfer Rheinfels gebracht. Mit insgeamt 1600 Häftlingen und 100 Mann SS-Wachpersonal lief das Schiff aus, kam aber nicht weit. Am 8. Mai erreichte sie die Nachricht vom Waffenstillstand.
Wer beschäftigt sich in Schleswig Holstein eigentlich mit der Geschichte der Todesmärsche? Unter anderem die sogenannte „Biografie-Arbeitsgruppe“ in Kiel um Eckhard Colmorgen, Frauke Greuel, Heinrich Kautzky, Bernd Philipsen und Fred Zimmak aber auch der Schleswig-Holsteinische Heimatbund (SHHB). Sie beleuchten zum Beispiel die über 180jährige Geschichte der Chaussee Altona-Kiel, natürlich auch die dunklen Kapitel. Markante Punkte werden mit Informationstafeln markiert. Nach Tafeln an Orten der Ermordung im April 1945 in Neumünster-Einfeld und Bad Bramstedt soll nun auch eine Tafel in Wittorferfeld aufgestellt werden, weitere u.a. in Kaltenkirchen werden im kommenden Jahr folgen. Wichtig ist den Initiatoren dabei, dass die Namen der Ermordeten nicht vergessen werden.
Die Aufstellung der Tafel in Wittorferfeld hatte die Ratsversammlung der Stadt Neumünster auf Antrag des Stadtteilbeirats Wittorf am 26. September 2017 beschlossen. Mit einer kleinen Gedenkstunde, ausgerichtet von der Stadt Neumünster, dem Stadtteilbeirat und der Ortsgruppe Neumünster des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes wird dieser Beschluss jetzt durchgeführt. Mit dabei ist auch die „Biografie-Arbeitsgruppe“, die sich mit den Biografien der Menschen beschäftigt, die an dem „Todesmarsch“ teilgenommen haben.
Bei der Aufstellung der Tafel am Samstag, den 18. November um 11 Uhr auf dem Rastplatz an der Altonaer Straße in Neumünster Wittorferfeld südlich der Einmündung der Straße „Am Hochmoor“ sprechen:
- Erster Stadtrat Herr Carsten Hillgruber, Neumünster
- Frau Sabine Krebs (Stadtteilbeiratsvorsitzende), Neumünster
- Herr Jens Kay (SHHB Ortsgruppe Neumünster), Neumünster
- Herr Fred Zimmak („Biografie Arbeitsgruppe“ und Sohn des überlebenden Marschteilnehmers Leonhard Zimmak), Großsolt
[1] ITS Arolsen: Zentrum für Dokumentation, Information und Forschung über die nationalsozialistische Verfolgung, NS-Zwangsarbeit sowie den Holocaust mit Sitz in der nordhessischen Stadt Bad Arolsen
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Ich kann mich erinnern, dass meine Tante, Frau Käte Kleen, Wittorfer str. 14, Neumünster, die mich nach dem Tod meiner Mutter bei sich aufnahm, mit mir oft an ein “Lager” vorbei fuhr um Holz in einem Bollerwagen zu sammeln
am Stacherdrahtzaun vorbeifuhr. Ich bin heute fast 83 Jahre alt und habe immer noch die dahinterstehenden Häftlinge im Gedächnis. Alle mit kahl-geschorenen Köpfen und total abgemagert. Meine Tante Käte hatte immer getrocknetes Brot dabei und hat es heimlich unter den Stacherdraht gelegt.
Wer weis wo das gewesen sin kann ?
Ich bitte um Antwort, denn sie war für mich mein Leben Lang eine Heldin !
Und grosses Symbol gegen das heutige Gesindel von der AfD.
Hallo, ich bin Febr. 1960 in Neumünster geboren.
Meine ersten 12 Lebensjahr habe ich mit meiner Schwester u. Mutter dort im damals genannten “Wittorfer Lager” in Baracken gelebt. ( Foto vorhanden)
Während der NS Zeit war dies ein Durchgangslager für Juden, politische Gefangene und ebenfalls für Sinti und Roma die nebenan extra eingezäunt in ihren hölzernen Zigeunerwagen lagerten.(Foto vorhanden).
Nach der NS Zeit war dieses Lager ein riesiges Obdachlosenasyl.
Die pure Hölle für Kinder!!!
Wenn Sie mehr darüber wissen möchten, schreiben Sie mich einfach an.
Frdl. Grüße
Vielen Dank, Herr Breitzke. Also 1960 gab es definitiv kein Barackenlager mehr für Flüchtlinge (Bau der Böcklersiedlung ab 1950, Aufheben der Wohnraumbewirtschaftung 1962), bis dahin hatten alle Wohnraum bekommen. Was weiter bestand, war vorn in der Lindenstraße das Obdachlosenlager und das Standquartier für die Sinti/Roma.
In der NS-Zeit gab es kein Lager für Juden und politische Gefangene in Neumünster, der Sintiplatz war wie von Ihnen beschrieben in der Lindenstraße (aber nicht eingezäunt).
Ich schreibe Sie noch mal an, da wir an den Fotos interessiert wären.
Freundliche Grüße!